Juli 2005

 

Johannes Schmitt

Geschichte und Heimat im Ostertal

Festvortrag anlässlich des 20jährigen Bestehens des Heimat- und Kulturvereins Ostertal
gehalten am 08.07.2005

 

Geschichte

Seit Jahren, sehr geehrte Damen und Herren, überrasche ich meine Schüler der Klassenstufe 11 bei der Einführung und Vorstellung des Faches Geschichte – und wahrscheinlich werden auch sie verblüfft sein – mit der provozierenden Feststellung: „Geschichte ist Zukunft“ – „Geschichte als Wissenschaft ist Zukunftsforschung“. Die Verblüffung und Überraschung löse ich dann so auf, dass ich aufzuzeigen suche, dass Geschichte nicht dazu da ist, um, wie es der große Historiker Ranke im 19. Jahrhundert formuliert hat, aufzuzeigen, „wie es eigentlich gewesen sei“. Dies tut Geschichte auch, aber Geschichte – und das ist mein grundlegendes Postulat – soll in erster Linie dazu dienen, die Gegenwart zu verstehen, die sich aus der Vergangenheit entwickelt hat. Denn in der Gegenwart ist die Vergangenheit – wenn auch nicht als Ganze, so doch in Elementen – aufgehoben, im Sinne von bewahrt.

Ich will es noch mehr zugespitzt formulieren: Nur wer die Vergangenheit kennt, versteht die Gegenwart und kann künftiges Handeln danach ausrichten. Geschichte versteht sich also in erster Linie aus dem Bezug zur Gegenwart. Und dieser Gegenwartsbezug vermittelt uns Orientierungswissen das nötig ist, um bewusst, und von da erklären sich gleichsam zwei zusammengehörende politische Sehweisen, zu bewahren und/oder zu verändern. Tradition und Fortschritt sind gewissermaßen die beiden Seiten der Medaille Geschichte. Um es an einem regionalen Beispiel zu erläutern: Wie will ich heute die drängenden Probleme der Arbeitslosigkeit an der Saar verstehen und eine adäquate Antwort finden, wenn ich mich nicht weit in die Geschichte der Industrialisierung der Saargegend und deren Folgen auf den sozialen Wandel seit über zwei Jahrhundert einlasse?

 

Aber dieses von mir hier aufgezeigte Geschichtsverständnis, nämlich von der Gegenwart her Vergangenheit zu betrachten, ist selbst ein Produkt der historischen Entwicklung. Die Antike und die Kulturen des Ostens, etwa China und Indien, hatten dieses lineare, auf Entwicklung und Veränderung abstellende Geschichtsbewusstsein nicht: Sie orientierten sich an der Idee des Kreislaufs, der ständigen Wiederkehr des Gleichen, und erst im christlichen Abendland, seit der Renaissance und dann vollends seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, bildete sich dieses auf Veränderung und Fortschritt orientierte Geschichtsbewusstsein.

Die politischen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts, voran die große Französische, die industrielle Revolution und in ihrem Gefolge der soziale Wandel, haben die Historiker motiviert, die historischen Dimensionen dieser fundamentalen Veränderungen zu erforschen und zu reflektieren und die Politiker und in der Demokratie eigentlich jeden Staatsbürger bewegt, diesen Wandel zu verstehen, zu beeinflussen und zu steuern.

In diesem Geschichtsverständnis gibt es auch keine unterschiedliche Wertigkeit der Räume, die die Historiker untersuchen: Lokalgeschichte – Regionalgeschichte – nationale Geschichte – europäische Geschichte und sogar im Rahmen der Globalisierung neuerdings Weltgeschichte bilden gleichsam wie die Schalen einer Zwiebel Einheiten, die sich gegenseitig beeinflussen können und überlagern. Aber für die Menschen vor Ort sind die Lokalgeschichte und die Regionalgeschichte in erster Linie, und auch dies mag nicht verblüffend sein, für ihre unmittelbare Lebenswelt: Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur von besonderer Wichtigkeit.

Dieses Geschichtsverständnis, wie ich es zugestandenermaßen relativ abstrakt entwickelt habe, ist sehr eng mit dem Heimatbegriff und seiner Geschichte verbunden.

 

Heimat

Heimat, althochdeutsch „ heimouti“ , ist von dem Substantiv „ heim“ abgeleitet, das ursprünglich „ Niederlassung“ , „ Wohnsitz“ bedeutete und von dem das Adjektiv „ heimisch“ im Sinne von „ an einem bestimmten Ort ansässig“ gebildet ist und dessen Gegenbegriff „ fremd“ und „ Fremde“ darstellt. So schwingt schon in der ursprünglichen Bedeutung das positiv gefühlsmäßige „ Vertrautsein, vertraut, vertraute Umgebung“ mit. Heimat wird so seit frühmittelalterlicher Zeit und bis zum 18. /19. Jahrhundert der Gegenbegriff zur Fremde.

Heimat war zugleich, und das galt ebenfalls bis zum 18. Jahrhundert für weit mehr als 90 % der Bevölkerung, in der seit dem frühen Mittelalter herausgebildeten ländlichen und städtischen Sozialordnung zunächst und überwiegend das bäuerliche Dorf, in dem man ein „ Haus“ besaß, oder die Stadt, in der man durch Handwerk und Handel eine auskömmliche Nahrung fand. War Heimat an Haus und Besitz gebunden, so besaß der Besitzlose und Hauslose im Umkehrschluss eigentlich keine Heimat, auch kein Heimatrecht im Dorf und in der Stadt: Dies waren Tagelöhner und Bettler, Arbeiter und Vagabunden. Dieses Heimatrecht begründete auch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein einen Versorgungsanspruch im Alter und in Notfällen, da die Dorfgemeinde verpflichtet war, die im Dorf Beheimateten bei Krankheit, Bedürftigkeit und im Alter mitzuversorgen.

Aber seit dem späten 18. Jahrhundert befand sich diese weitgehend immobile ländliche und kleinstädtische Gesellschaft in einem tief greifenden Umbruch: Ein enormes, bis dahin nie gekanntes Bevölkerungswachstum, das schon im 18. Jahrhundert einsetzte, die durch die Französische Revolution angestoßene oder durchgeführte Bauernbefreiung, die Gewerbefreiheit durch die Aufhebung der Zünfte, die Auflösung der Stände insgesamt schufen in Stadt und Land neue ökonomische und soziale Chancen und Rahmenbedingungen, die in die Industrialisierung einmündeten und mit dieser auch für den Heimatbegriff das Tor zur „ Moderne“ öffneten.

 

Für viele Menschen – insbesondere der Unterschicht, auch im Ostertal – waren die sozialen Umbrüche und der soziale Wandel im frühen 19. Jahrhundert eine Verlusterfahrung, denn infolge der Bevölkerungsexplosion kam es zunächst zu einer massenhaften Armut, dem Pauperismus. An die Stelle der traditionalen Dorfgemeinde trat nun die bäuerliche Eigentümer- und Konkurrenzgesellschaft. Die seit Jahrhunderten durch die bäuerliche Kultur geformte Landschaft wurde nun durch die vorangetriebene Industrialisierung umgestaltet, die Umwelt beschleunigt so verändert wie nie in Jahrhunderten zuvor. Kleinstädte wuchsen zu Ballungsgebieten; die Fachleute nennen diesen Prozess „ Urbanisierung“ . Tausende von Menschen verließen auch aus der Saargegend vor 1850 ihre Heimat und wanderten wegen fehlender sozialer Chancen vor allem nach Amerika aus: In der Saarregion änderten sich seit dem 19. Jahrhundert die Siedlungsstrukturen grundlegend. Viele, die in der Landwirtschaft nicht mehr Arbeit und Brot fanden, zogen als Bergleute und Hüttenarbeiter in die Industriezone, viele aber blieben weiter ihrer dörflichen Lebenswelt als „ Pendler“ verbunden und betrieben nach der Schicht als so genannte „ Bergmannsbauern“ zur Selbstversorgung eine kleine Landwirtschaft. Dies war eine Eigentümlichkeit, die das Saarrevier, auch das Ostertal auszeichnete und bis in die 60er Jahre des eben vergangenen Jahrhunderts andauerte und als Indiz für die Heimatgebundenheit der Saarländer galt und gewertet wurde.

Der Heimatbegriff ist so seit dem frühen 19. Jahrhundert konservativ besetzt, und er war häufig die in die Vergangenheit zurückprojizierte Sehnsucht nach dem Erhalt der traditionalen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen. Heimat wurde somit eine konservative Antwort auf Revolution und Industrialisierung, auf den von diesen hervorgerufenen fundamentalen Wandel, der, und darin lag der kritische Impuls, die Menschen weitgehend individualisiert, entwurzelt und heimatlos gemacht habe.

„ Heimatschutz“ , ein gegen Ende des 19. Jahrhunderts geprägter Begriff, um damit die Zerstörung der Umwelt durch die negativen Folgen der Industrialisierung bewusst zu machen, wurde im Jahre 1904 Grundlage und Zielvorstellung für den „ Deutschen Bund Heimatschutz“ , der sich als Gegenbewegung die Erhaltung von Natur und Kulturdenkmälern zum Ziele setzte.

In diese Bewegung, die überwiegend von bürgerlichen Honoratioren getragen war, waren damals auch die Heimatvereine, örtlichen Geschichtsvereine und Heimatmuseen eingebunden, durch die die lokale Geschichte als Heimatgeschichte gepflegt und intensiviert wurde, die bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts auch als Heimatkunde Eingang in die Lehrpläne der Volks- und Grundschulen fand und damit die soziale Identität der heranwachsenden Generation – die Verbundenheit mit der Heimat – prägen sollte.

Der konservative, zivilisationskritische Heimatbegriff war seit dem frühen 19. Jahrhundert in eher kleinräumigen politischen und sozialen Strukturen entstanden, in kleineren Herrschaften, Dörfern und Kleinstädten mit ihren vormodernen Lebensbedingungen, die Identität, festen Halt und einen sicheren sozialen Bezugsrahmen bieten sollten. Dieser Heimatbegriff wurde aber schon in dieser Zeit von einer zeitlich parallelen Gegenbewegung überlagert, die gerade das Partikulare und Regionale dieser Heimat, die überholten Herrschaftsräume, überwinden und ihr neues Identifikationsobjekt, ihre Heimat gewissermaßen, in der Nation und im Nationalen finden wollte. 

Ähnlich wie der konservativ romantische Heimatbegriff im Laufe des 19. Jahrhunderts vom Begriff der Nation aufgesogen war und Heimat in Nation aufging, vollzog sich gegen Ende des 19. und zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts ein ähnlicher Prozess, in dem ein einzelnes Moment, das neben Kultur und Sprache die Nation begründete, verabsolutiert wurde, das Element des Volkhaften, des Völkischen, das zum Rassegedanken im biologistischen Sinne fortentwickelt wurde.

Im Zentrum der nationalsozialistischen Ideologie standen die Rasselehre und die Vorstellung von der Geschichte als Rassenkampf. Rigoros und entschieden besetzten die Nationalsozialisten auch den Heimatbegriff ideologisch: „ Rasse“ , „ Lebensraum“ , „ Heimatboden“ , „ Blut und Boden“ , „ Volk und Raum“ bildeten die zentralen Begriffe ihres Menschen- und Weltbildes. Rasse, Heimat und Raum waren im Verständnis des Nationalsozialismus im Innern und von außen bedroht.

In diesen Vorstellungen spielte auch die Ideologie der „ heimatlichen Scholle“ , der Wurzel des Rassischen im Bauerntum, eine wichtige Rolle, und sie nahm damit auch die antizivilisatorische Kritik des konservativen Heimatbegriffs auf. „ Heimat und Boden“ , „ Heimat und Blut“ – „ Blut und Boden“ wurden gewissermaßen religiös besetzt und sakralisiert.

Das Jahr 1945 bedeutete auch für die Geschichte des Heimatbegriffs eine tiefe Zäsur. Über 12 Millionen Deutsche beziehungsweise Deutschstämmige wurden aus den deutschen Gebieten östlich der Oder-Neiße-Grenze, aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn vertrieben und umgesiedelt, verloren so ihre Heimat und mussten neue heimatliche Wurzeln überwiegend in den Westzonen und der späteren Bundesrepublik finden. Millionen flüchteten zudem aus der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR, fanden neue Lebensmittelpunkte in der Bundesrepublik, die damit eine einmalige Integrationsleistung vollbrachte, sicherlich begünstigt durch das sogenannte Wirtschaftswunder in den 50er Jahren. Dieses bis in die Mitte der sechziger Jahre ungebremste Wachstum der Wirtschaft war begleitet von einem erneuten beschleunigten sozialen Wandel und einer verstärkten sozialen Mobilität in einem bis dahin nie bekannten Umfang. Traditionelle Sozialmilieus, etwa das ländlich katholische in weiten Teilen West- und Süddeutschlands oder das traditionelle Arbeitermilieu der Großstädte und industriellen Ballungsgebiete, schienen sich allmählich aufzulösen, eine Entwicklung, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Dass sich in diesem wirtschaftlichen, bevölkerungsmäßigen und sozialen Wandlungsprozess, der zweiten „ Moderne“ gewissermaßen, eine „ Sehnsucht nach Heimat“ artikulierte, scheint fast selbstverständlich. Aber die Antworten, die die Kulturindustrie bot und bis heute bietet, waren, wie Hermann Bausinger es formulierte, nur „ Heimat
von der Stange“ : Seit den 50er Jahren waren dies der Heimatfilm mit seinen vormodernen Requisiten einer intakten bäuerlichen Gesellschaft und Kultur, der Schlager und die Heimatmusik von „ Heino“ bis zu dem „ Musikantenstadl“ und die ungezählten trivialen Heimatromane, also insgesamt die Vermittlung einer heilen Welt als Freizeit- und Unterhaltungsangebot, das allerdings nur in Klischees und Stereotypen bestand und diese reproduzierte.

Ende der siebziger Jahre wurde „ Heimat“ im neuen Sinne wieder entdeckt: Die ökonomischen und ökologischen Grenzen des Industriesystems, die Grenze des Wachstums, führten gewissermaßen dialektisch im Umschlag zur Rückbesinnung auf die Heimat und den Erhalt der Umwelt. Nun aber bot sich dafür die Region an, und ein regionales Bewusstsein und regionale Identität bildeten sich in den siebziger Jahren als ein in Gesamteuropa verbreitetes Phänomen.

Heimatbewegung wurde nun zur Regionalbewegung, Heimatbewusstsein zum Regionalbewusstsein, auch um die in Verruf geratenen Bestandteile und Inhalte des Begriffs zu umgehen oder zu vermeiden, um nicht, wie formuliert wurde, in den Geruch einer linken „ Heimattümelei“ zu geraten.

Auch die Geschichtswissenschaft hat sich seit den siebziger Jahren diesem neuen Regionalismus geöffnet und sich in der Regionalgeschichte von der klassischen politischen Ereignisgeschichte, der Geschichte des Nationalstaates, abgewandt: so etwa durch die Erforschung der Industrialisierung der einzelnen Regionen, durch die Untersuchung der Bevölkerungsentwicklung, durch Familienforschung im regionalen Bezug, durch die Erforschung von Parteien, Vereinen, Verbänden auf lokaler und regionaler Ebene. In den letzten Jahren sogar wendet sie sich verstärkt der so genannten Alltagsgeschichte zu, um kleine Lebensräume und Lebenswelten zu erfassen, um auch, soweit das durch Quellen möglich ist, zu beschreiben, was die einfachen Leute gedacht, gefühlt und erfahren haben.

Region ist in diesem neuen Konzept des Regionalismus gegenüber der eher kleinräumigen auf ein Dorf oder Kleinstadt bezogene Heimat ein funktionales Gebilde, ein historisch entstandener und sich ständig wandelnder Lebensraum, in dem Individuen, Familien, Gruppen, Vereine, Verbände, Milieus, usw. zusammen handeln. Je nachdem, ob ökonomische, gesellschaftliche, politische oder kulturelle Kriterien eine Region definieren und abgrenzen können, haben Regionen unterschiedliche Reichweiten und Größen. Menschen in einer Region entwickeln ein regionales Bewusstsein, da die Region einen Erfahrungsraum darstellt, in dem Menschen zusammenwirken, sich mit ihrer Region, ihren unverwechselbaren historisch gewordenen Merkmalen identifizieren und sich in diesem Raum vertraut, also heimisch, fühlen.

 

Heimatforschung im Ostertal

In diese neue regionale Geschichts- und Heimatbewegung fällt, wenn auch zeitlich etwas verspätet, die Gründung des Heimat- und Kulturvereins Ostertal, die am 6. Juli 1985 erfolgte.

Übrigens fast zeitlich parallel gründeten auch Geschichtsfreunde in Primstal auf der Grundlage der 1974 im Saarland vollzogenen Gebiets- und Verwaltungsreform in der neuen Gesamtgemeinde Schmelz einen Historischen Verein, dessen Vorsitz ich seitdem innehabe.

Für das mittlere Ostertal ist bemerkenswert, dass die Initiative zur Vereinsgründung von den Ortsräten der früheren Bürgermeisterei Niederkirchen: also Bubach, Mahrt, Hoof, Niederkirchen, Osterbrücken, Saal und Selchenbach forciert wurde. 1947 kamen alle diese Gemeinden, mit Ausnahme Selchenbachs, zum damaligen, unter französischer Kontrolle stehenden „ autonomen Saarland“ . So erklärt sich auch die Einzigartigkeit, dass der rheinland-pfälzische Ort Selchenbach zu einem saarländischen Geschichtsverein gehört. Dies ist ein Beleg dafür, dass für Historiker traditionelle ältere Beziehungen wichtiger sein können als erst kurzfristige politische Veränderungen. Auch eine Besonderheit der Ostertaler bis heute: Die einzelnen Gemeindebezirke haben im Ostertaler Heimat- und Kulturverein einen Beisitzer im Vorstand.

Folgende Aufgaben stellte sich der neue Verein:
- Pflege des örtlichen Brauchtums und des heimischen Kultur- und Liedergutes,
- Erforschung der Heimatgeschichte,
- Sammlung heimatgeschichtlicher Materialien,
- Erhaltung und Pflege von Bau- und Naturdenkmälern,
- Unterstützung von Initiativen zur Verschönerung des Ortsbildes,
- Aufrechterhaltung und Stärkung der Bindungen zwischen Ostertalern und dem Ostertal
- Förderung des Erholungswertes der heimatlichen Flur sowie Durchführung von Wanderungen.

Der Verein hat heute 75 Mitglieder.
15 Gründungsmitglieder werden heute geehrt:
Ewald Wailersbacher ist seit 20 Jahren Vorstandsmitglied
Karl Deckarm und Walter Harth sind weitere langjährige Vorstandsmitglieder.

Von Anfang an bis heute erhielt Hans Kirsch das Vertrauen als 1. Vorsitzender:

Lieber Hans, wir kennen uns erst seit kurzem, haben uns spontan das Du angeboten, sind gleichaltrig, Du in Pension und ich noch etwas davor. Ich weiß, und dies ist eine alte Erfahrung im Vereinsleben, die viele von uns gemacht haben: Vereine werden häufig von engagierten Einzelpersonen getragen.
Ohne das Verdienst vieler deiner Vorstandsmitglieder zu schmälern: Du bist von Anfang an der spiritus rector, der Ideengeber, Organisator, unermüdliche Forscher und Autor, der offensichtlich bis heute seine Vereinsmitglieder mitreißen und begeistern konnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns noch einmal die 1985 gestellten Aufgaben des Ostertaler Heimat- und Kulturvereins anschauen, so wird deutlich, wie diese in 20 Jahren auf hervorragende Weise abgearbeitet und aufgearbeitet wurden: Vorträge, kleinere Veröffentlichungen, Wanderungen, Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung, Heimatabende, regionale Treffen mit andern Geschichtsvereinen, vor allem mit denen der Stadt St. Wendel, Fotoausstellungen, Ausstellungen von Dokumenten, Kunstausstellungen, Denkmalpflege, Mitarbeit bei Dorffesten, Beratung der Ortsvereine sind eine Fülle von Aktivitäten, die alle den 1985 gesteckten Zielen entsprechen.

 

Vier Aktivitäten aus der breiten Palette möchte ich herausgreifen, vorstellen und einordnen, da sie aus meiner Sicht hervorragende Besonderheiten des Ostertaler Vereins darstellen.

Seit 1998 besitzt der Heimat- und Kulturverein Ostertal eigene Räumlichkeiten in dem so genannten „ Ammejobs“ in Niederkirchen, einem geschmackvoll und stilgerecht umgebauten Bauernhaus im Ortskern. Die Stadt St. Wendel hat es zur Verfügung gestellt und unterhält es auch. Dies ist ein gelungenes Beispiel für die kommunale Unterstützung historischer Vereine. Damit honoriert die Stadt gewiss auch die kulturelle Bedeutung des Vereins und das ehrenamtliche Engagement für die Bürgergemeinschaft. In dem Haus trifft sich nicht nur der Vorstand in gemütlicher Runde, sondern ein recht stattliches Archiv und eine kleine Bibliothek sind im Aufbau, die von jedermann benutzt werden können. Ein Raum beherbergt gewissermaßen eine Forschungsstelle, ausgestattet mit modernsten Computern, in der Vereinsmitglieder die Ostertaler Familienbücher erarbeiten wollen.

Seit 2003 ist der Verein im Internet mit einer eigenen Homepage präsent. Klaus Zimmer hat sie professionell gestaltet und inzwischen haben wohl über 1000 Surfer diese Darstellung des Vereins besucht und benutzt. Es werden nicht nur die Ziele und Aktivitäten des Vereins seit 1985, der Vorstand, das Vereinshaus vorgestellt, sondern auch in einer Zeittafel und mit knappen Informationen die Geschichte des Ostertals. Publikationen und ihre Autoren werden präsentiert, Publikationen können via Internet geordert werden und schließlich kann der Besucher in einem Gästebuch seine Eindrücke niederlegen.

Der Dachverband für historisch-kulturelle Vereine des Saarlandes ist dabei, ein gemeinsames Internet-Portal einzurichten, in dem seine Vereine sich darstellen können. Die Homepage des Heimat- und Kulturvereins Ostertal kann dabei Vorbild und Richtschnur für manchen Verein sein.

 

Flaggschiffe eines jeden historischen Vereins sind seine Publikationen. Davon hat der Ostertaler Heimatverein gleich mehrere, und ihre Kapitäne heißen Hans Kirsch und Klaus Zimmer. Aus der Feder von Klaus Zimmer stammen die beiden ersten Chroniken des mittleren Ostertals:

Band I: „ Von der Steinzeit bis zum Ende des 30-jährigen Krieges“ , 1990 erschienen;
Band II: „ Vom Ende des 30-jährigen Krieges bis zum Ausbruch der Französischen Revolution“ , 1993
erschienen.

 

Klaus Zimmer stellt dabei die regionale Entwicklung in den Zusammenhang der so genannten allgemeinen Geschichte, beleuchtet die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, beschreibt die Bevölkerungsentwicklung und führt Steuer- und Abgabenlisten an. Bedingt durch die Quellenlage werden die Beschreibungen, Interpretationen und Erläuterungen zum 18. Jahrhundert hin immer dichter, vor allem in der Schul- und Kirchengeschichte. Dabei wird auch ausführlich auf die jeweilige Ortsgeschichte eingegangen.

Ich aber möchte ausführlicher den 3. Band würdigen: Er umfasst die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ende des 1. Weltkrieges, erschien 2001 und hat ein Volumen von 800 Seiten: eine preiswürdige Chronik, denn für dieses Werk erhielten die Autoren zu Recht im Jahre 2003 den Pfalzpreis für Heimatkunde. Nicht nur dass die Autoren die allgemeine politische Entwicklung dieses ereignisreichen, „ langen“ 19. Jahrhunderts mit Revolutionen und Kriegen gleichsam auf die regionale Geschichte „ herunterbrechen“ , die kommunalen Verhältnisse: Bürgermeister, Finanzen, Einrichtungen usw. beleuchten, staatliche Einrichtungen, Polizei, Post, Militärwesen behandeln, sondern in besonderer Weise wird die Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung des mittleren Ostertals quellengesättigt so geschildert, dass man einen Eindruck, eine dichte Beschreibung, von Land und Leuten erhält, Alltagsgeschichte, Geschichte von unten, Kulturgeschichte, allerdings ohne dass die Autoren diese Begriffe explizit verwenden. Lehrer und Pfarrer werden in Kurzbiografien lebendig dem Leser vor Augen gestellt.

Seit etwa 40 Jahren dauert der bis jetzt nicht gelöste Streit innerhalb der Historikerzunft, ob Geschichte als politische Ereignisgeschichte, Gesellschaftsgeschichte, Alltagsgeschichte, Geschlechtergeschichte oder neuerdings als Kulturgeschichte zu betreiben sei. Die Ostertaler Historiker: Hans Kirsch und Klaus Zimmer haben diesen Streit pragmatisch gelöst: Ihre dritte Chronik des mittleren Ostertals ist ein exzellentes Beispiel dafür, dass Geschichte als „ histoire totale“ alle Dimensionen umfassen kann und einschließen müsste, um das Ganze der vergangenen Historie, so weit dies geht, adäquat zu erfassen und darzustellen.

Und noch eine letzte Publikation möchte ich besonders vorstellen und herausheben. Auch sie stammt aus der hervorragenden Feder von Klaus Zimmer und ist im Jahre 2003 unter dem Titel „ Erlebte Geschichte (1939-1945). Ostertaler Männer und Frauen in Krieg und Gefangenschaft“ erschienen.
„ Diese Dokumentation mit den Aussagen Einzelner“ – so das Vorwort – „ ruft gleichsam ein millionenfaches Schicksal in Erinnerung: Teilnahme am Krieg mit Strapazen, Verwundung und Tod; Gefangennahme, Lagerleben mit Kälte und Hunger, Angst und Hoffnung“ . Als Ziel der Publikation gibt der Vorsitzende des Vereins an, „ die Jüngeren“ zu „ sensibilisieren“ und zu „ warnen“ . Ich selbst möchte noch hinzufügen: Viele von denen, die in den Krieg zogen, befürworteten den NS-Staat und seine aggressive Außen- und Kriegspolitik. Sie waren teilweise in diesem Unrechtsystem sozialisiert worden und hatten nie die Demokratie mit ihren Vorzügen, aber auch Gefährdungen erlebt.

Hier schließt sich nun der Bogen. Das Verständnis von Geschichte, wie es aus dieser Publikation zum Krieg hervorleuchtet, ist in der Gegenwart verwurzelt und ist ein Bekenntnis zur Demokratie für die Heranwachsenden, denn nur die Demokratie kann den Rechtsstaat, soziale Gerechtigkeit, Toleranz und auch die Völkerverständigung und den Frieden zwar nicht garantieren, aber doch deren Verwirklichung anstreben.

Vor einer Woche habe ich Hans Kirsch im Ostertal besucht, um mich über die Vereinsarbeit zu informieren. Und durch die Publikationen habe ich einen ersten Überblick gewonnen. Dabei ist mir die Idee gekommen, dass der Dachverband der historisch- kulturellen Vereine alle 3 Jahre einen Heimatpreis an einen seiner Vereine für dessen Tätigkeit insgesamt oder für eine besondere Publikation oder auch eine einzelne hervorragende Aktivität verleihen sollte. In der letzten Vorstandssitzung des Verbandes ist dieser Vorschlag positiv aufgenommen worden. Mein Kandidat für die erste Preisverleihung wäre eindeutig der Heimat- und Kulturverein Ostertal, da er in hervorragender Weise in den letzten 20 Jahren in seiner Tätigkeit die Ziele im Sinne von Geschichte und Heimat, wie ich sie skizziert habe, verwirklicht hat.

 

Dafür möchte ich dem Verein danken und ihm für eine weitere erfolgreiche Arbeit alles Gute wünschen.

 

* Für die beiden ersten Abschnitt sei auf folgende Literatur verwiesen, wo sich auch die Zitate finden
lassen: J. Schmitt, Landesgeschichte heute: historiografische und methodische Aspekte, in: Zeitschrift
für die Geschichte der Saargegend 48 (2000), S. 152-164; J. Schmitt, Heimat im Zeitalter der
Globalisierung, in: Unsers Heimat. Mitteilungsblatt des Landkreises Saarlouis für Kultur und
Landschaft 26 (2001), S. 53-59.

 

 


Blick ins Publikum

 


Festredner Dr. Johannes Schmitt

 


Die Gründungsmitglieder

 


Blick ins Publikum

 


Gesangverein Niederkirchen beim Vortrag