November 2001

Saarbrücker Zeitung, 16.11.2001

Zöllner wurden bis nach St. Wendel geprügelt

Heimat- und Kulturverein bringt den dritten Band der Ostertal-Chronik heraus:
Er wird an diesem Samstag vorgestellt

Rechtzeitig vor Weihnachten erscheint der dritte Band der Ostertal-Chronik. Die Autoren Klaus Zimmer und Hans Kirsch berichten über die Ostertal-Geschichte von der Französischen Revolution 1789 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1918).

 

Niederkirchen (kam). Wer weiß schon, dass Bayern nach dem Wiener Kongress die Pfalz eigentlich gar nicht haben wollte und von Österreich durch einen Truppenaufmarsch zur Annahme der Provinz geradezu gezwungen wurde? Wem ist bekannt, dass 1832 der St. Wendeier Pfarrer Karl Juch revolutionspredigend durchs Ostertal zog, was in Niederkirchen einen regelrechten Skandal verursachte? Dies und vieles mehr ist nun im dritten Band der „Chronik des mittleren Ostertals" nachzulesen. Dieses neueste Buch wird in einer Feierstunde am morgigen Samsttag, 17. November, ab 17 Uhr im Kulturzentrum Niederkirchen vorgestellt.

Nach den beiden ersten Bänden aus den Jahren 1990 und 1993 schlagen die Autoren Klaus Zimmer aus St. Ingbert-Hassel und Hans Kirsch aus Selchenbach nun einen historischen Bogen von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Auf 790 Seiten beschreiben sie die politische, kommunale, wirtschaftliche, soziale, schulische und kirchliche Entwicklung der Gemeinden Bubach, Hoof, Marth, Niederkirchen, Osterbrücken, Saal und Selchenbach. Und das mit einer Detailkenntnis und Gründlichkeit, wie es kaum in einem anderen Heimatbuch zu finden ist.

Hier ist zu erfahren, dass die wichtigste organisatorische Neuerung in der französischen Zeit (1794-1813) die Gründung der Bürgermeisterei (“Mairie") Niederkirchen im Jahr 1800 war. Die Ostertaler waren nun französische Staatsbürger und nahmen an vielen rechtlichen und sozialen Umwälzungen dieser Zeit teil. Nach der Niederlage Napoleons in Russland wurde Europa neu geordnet, wobei das mittlere Ostertal zum Landkommissariat Kusel und zur bayerischen Pfalz kam. Die neue bayerisch/sachsen-coburgische Staatsgrenze, die von Saal bis Lauterecken verlief, musste festgelegt und abgemarkt werden, was nicht ohne Reibereien abging. Nach jahrelanJahre 1839 auf einen Staatsvertrag.

Über diese Grenze fand ab 1830, als Bayern die Pfalz mit einer Zolllinie umgab, ein reger Schleichhandel statt. Als am 4. September 1831 lichtenbergische Zöllner bei Werschweiler drei Fässchen Branntwein beschlagnahmten, wurden sie kurz darauf von 20 Personen überfallen, die mit Stöcken und Stangen auf sie einschlugen und riefen: “Schlagt die Spitzbuben tot, sie wollen uns unser Brot nehmen." Die Beamten flohen unter Preisgabe der Fässer nach St. Wendel, wurden aber unerbittlich verfolgt und erhielten unterwegs weitere Prügel.

Mit der Reichsgründung 1871 verloren die preußisch-bayerischen Animositäten etwas an Gewicht. Jetzt stand die nationale Frage stärker im Vordergrund. 1884 bildete sich im Kreis Kusel ein nationalliberaler Parteiverein. In den Dörfern arbeiteten Vertrauensleute. Das mittlere Ostertal gehörte seinerzeit zum Reichstagswahlkreis Homburg-Kusel.

Im sozialpolitischen Teil des Buches schildern die Autoren anschaulich die Armut und Not großer Bevölkerungsteile in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die vor allem durch Missernten in der Landwirtschaft hervorgerufen wurden. Hoof und Niederkirchen hatten die größten Probleme zu bewältigen, während es in Bubach und Osterbrücken kaum arme Leute gab. An dieser ungleichen Situation änderte sich auch mit der Stabilisierung ab den 1860er Jahren nur wenig.. Die Gründe lagen in hohen Sozialkosten, die die betroffenen Gemeinden einfach nicht aufbringen konnten.

Auf wirtschaftlichem Gebiet schildert das Buch zunächst die Entwicklung der Landwirtschaft, wobei die Bodenbebauung, der Einsatz von Düngemitteln und Maschinen sowie die Viehhaltung Schwerpunkte bilden. Können wir uns heute noch vorstellen, dass die Selchenbacher Bauern im Jahre 1865 772 Schweine hielten, dass es 1898 in Saal 279 Kühe gab, dass die Ziegen (“die Kuh des kleinen Mannes") immer Mehr wurden?

Steinkohlenbergbau betrieben die Ostertäler schon seit dem 18. Jahrhundert, wenn auch in kleinen Verhältnissen. Zum “Grubenzentrum" im mittleren Ostertal entwickelte sich im 19. Jahrhundert die Gemeinde Hoof, in der es etliche Stollen gab. Immerhin konnten sich die Einwohner hier ihren Winterbrand billiger besorgen. Doch damit war es spätestens 1876 vorbei, als die letzte Ostertäler Grube geschlossen wurde. Von nun an suchten sich die Ostertäler mehr und mehr ihre Arbeitsstellen im Saarbergbau und auf der Neunkircher Hütte. 1910 arbeiteten schon über 200 Ostertäler Männer auf den Gruben bei Neunkirchen und Saarbrücken. Beim Stummschen Eisenwerk waren in dieser Zeit etwa 30 bis 40 Leute aus dem Ostertal beschäftigt.

Bei der Schilderung der kirchlichen Entwicklung dominiert auch in diesem Band die Darstellung der Pfarrerpersönlichkeiten. Dabei fällt auf, dass die letzten beiden Geistlichen vor dem Weltkrieg, Karl Friedrich Esselborn und Hans Schmidt, nicht nur kirchlich, sondern auch sehr politisch agierten.

 

Bilder der Veranstaltung:

Vorstellung Chronik3.01
MdL Armin Lang

 

Vorstellung Chronik3.02
Publikum

 

Vorstellung Chronik3.03
Ortsvorsteher Prof. Dr. Georg Wydra

 

Vorstellung Chronik3.04
Publikum

 

Vorstellung Chronik3.05
Bettina und Klaus Zimmer

 

Vorstellung Chronik3.06
Die ersten drei Bände der Chronik

 

Vorstellung Chronik3.07
Mitautor Hans Kirsch beim Signieren

 

Vorstellung Chronik3.08
Heimatforscher Dieter Zenglein und die beiden Autoren, Klaus Zimmer und Hans Kirsch

 

Vorstellung Chronik3.09
Dr. Hans Esselborn und Mitautor Hans Kirsch