November 2003
Saarbrücker Zeitung, 27.11.2003
Auf dieser Grenze lebe ich
Klimmt: "Die Grenze muss eine Tür nach außen sein"
Heimat- und Kulturverein Ostertal: Reinhard Klimmt las in Niederkirchen in seinem Buch "Auf dieser Grenze lebe ich"
Niederkirchen (kam). Einen Heimatabend besonderer Art erlebten rund 40 Besucher mit Reinhard Klimmt im Niederkircher Paul-Gerhardt-Haus. Er las in seinem Buch "Auf dieser Grenze lebe ich" und plauderte über seine Erlebnisse und über Schicksale von Menschen diesseits und jenseits der Landesgrenze. Der Heimat- und Kulturverein Ostertal hatte zu dieser Veranstaltung eingeladen.
Zwischen zwei Mentalitäten
Seit vier Jahrzehnten lebt Reinhard Klimmt in der Grenzregion - zwischen zwei Nationen, Mentalitäten und Sprachen. Er weilte schon öfters im Ostertal, sei es bei Parteiveranstaltungen, zum Fußballspielen oder bei Skat-Turnieren und kennt so auch die Menschen hier. Das Buch handle von Themen, die sein Leben in der Politik am stärksten geprägt hätten, sagte er. Es sei keine Biografie, Privates erscheine nur am Rande. Es sei aber auch kein Politiker-Buch, obwohl er genügend Stoff dazu hätte. Doch die Politik habe er nicht ganz ausschließen können, da sie für ihn doch ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens sei. "Die Grenze spielt eine eigene Rolle, sie ist fester Bestandteil des Lebens der Menschen in der Region und hat deren Schicksal über die Jahrhunderte bestimmt. Die Überwindung der Grenze war und ist mein wichtigstes politisches Ziel", stellte Klimmt besonders heraus. Früh lernte er die Menschen und die Lebensumstände in Frankreich kennen. Das sei für ihn sehr gut gewesen, und er legt dies auch im ersten Kapitel dar. Weitere Kapitel folgen über die Brückenfunktion des Saarlandes für Deutschland und Frankreich, den großen Kampf der Bergleute im Jahr 1997. Durch Grubenfahrten unter Tage habe er sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen der Bergleute machen können. Die Stahlkrise, der Kampf bei Heckel und den Hüttenwerken um die Arbeitsplätze habe ihn veranlasst, ein Kapitel den Stahlarbeitern zu widmen.
Größeren Raum nimmt der Teil "Von den Saarländern, ihrer Identität und der Heimat ein." Dabei hielt er Rückschau auf die geschichtliche Entwicklung des Saarlandes. Auf die Kelten folgten Römer und verschiedene germanische Stämme. Deshalb könne man die Abstammung der Saarländer nicht eindeutig festlegen. Er zeigte die häufig wechselnden Herrschaften und Grenzverschiebungen in dieser Region auf. Das gelte auch besonders für das Ostertal. Das Saarland in seiner jetzigen Form sei ein künstliches Gebilde. Klimmt definiert den Begriff. "Heimat" wie folgt: "Heimat ist eine Summe von allem, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dynamisch und nicht statisch. Die Grenze muss eine Tür sein nach außen, zur Erfahrung von Neuem und darf nicht zum Schutz vor Veränderungen missbraucht werden." Man müsse die Kontinuität im Leben beibehalten. Klimmt ging auf die Besonderheiten der Menschen an der Saar ein, ihre Mundarten und Sprachgewohnheiten, ihre Mentalität und Arbeitsweise, ihre Lieblingsspeisen wie Quark und Pellkartoffeln, Dibbelabbes, Schwenkbraten, Erbsensuppe und Lyoner. Weitere Kennzeichen seien die gegenseitige Hilfsbereitschaft, die Gastfreundschaft und Offenheit.
Das Saarland habe eine Brückenfunktion zwischen den beiden Staaten, sagte er. Die Menschen auf der anderen Seite der Grenze hätten ähnliche Probleme. Deshalb sei eine Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg erforderlich.
Fragen zur aktuellen Politik
Es schloss sich eine lebhafte Diskussion an mit Fragen zur aktuellen Politik, zu wirtschaftlichen Problemen, zur Globalisierung und auch Fragen privater Natur. Der Sozialdemokrat Klimmt, der von November 1998 bis September 1999 Ministerpräsident des Saarlandes und danach bis November 2000 Bundesverkehrsminister in der Regierung Schröder war, sagte, man müsse den Blick nach vorne richten. Dabei stellten sich die Fragen: "Wie wird die Heimat in Zukunft aussehen? Welche Bedeutung wird sie in Zukunft für die Menschen haben?"