Juni 2017

Vorträge und Ausstellung über “NS-Psychatrie” im Gasthaus Gerlach in Konken

Beklemmende Einblicke in ein dunkles Kapitel

Konken. Drei Veranstaltungen innerhalb einer Woche zum Thema „NS-Psychiatrie in der Pfalz“ vermittelten beklemmende Einblicke in ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: die nationalsozialistische Rassenpolitik in Form von Zwangssterilisationen und Tötung angeblich „unwerten“ Lebens.

Im Saal des Gasthauses Gerlach in Konken hatten der Heimat- und Kulturverein Ostertal und die Kreisgruppe Kusel des Historischen Vereins der Pfalz eine Ausstellung des Bezirksverbandes Pfalz aufgebaut, die die Auswirkungen der NS-Rassenpolitik insbesondere auf die Patientinnen und Patienten der pfälzischen „Heil- und Pflegeanstalt“ Klingenmünster zeigt. Im Eröffnungsvortrag berichteten Julitta Hinz und Reiner von Blohn, beide Mitglieder des Ausschusses für Gedenkarbeit beim heutigen Pfalzklinikum, dass dort mindestens 223 Frauen und Männer zwangssterilisiert wurden und mehr als tausend Patientinnen und Patienten im Rahmen der „Euthanasie“ ihr Leben verloren. Zum Teil während der Auslagerung der Klinik 1939/40 in Ausweichanstalten im rechtsrheinischen Bayern, zum Teil nach der Rückkehr von dort durch Verhungernlassen oder übermäßige Verabreichung von Medikamenten. In einer zweiten Veranstaltung besuchten die Schülerinnen und Schüler der Kuseler Paul-MoorSchule, eine Förderschule für Behinderte, in Begleitung des Lehrpersonals die Ausstellung. Nach einer erklärenden Einführung befassten sie sich mit mehreren Einzelschicksalen der Ausstellung und erkannten dabei durchaus, dass sie selbst möglicherweise ebenfalls zum Opferkreis solcher Zwangsmaßnahmen hätten gehören können, wenn sie in der damaligen Zeit gelebt hätten.

Bei der dritten Veranstaltung, die besonders gut besucht war, berichtete Hans Kirsch aus Selchenbach über Zwangssterilisation und Euthanasie im Kreis Kusel. Eine besondere Stellung in diesen Verfahren hatte der Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes, der Amtsarzt. In Kusel war das seit 1927 der aus München stammende Dr. Georg Mayr. Er gehörte zwar ab 1937 der NSDAP an, war aber kein fanatischer Nationalsozialist; die Zwangssterilisation befürwortete er jedoch uneingeschränkt. Kirsch schilderte zahlreiche Einzelfälle, die er im Rahmen der Aufarbeitung der NS-Zeit der Gemeinden des mittleren Ostertals, die bis 1947 zum Kreis Kusel gehörten, recherchiert hatte. Dabei stützte er sich auf die Unterlagen des Gesundheitsamtes Kusel und der früheren Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster, die sich heute im Landesarchiv Speyer befinden. Für den Kreis Kusel liegen 386 „Erbgesundheitsakten“ vor. 25 Frauen und Männer aus den sieben Gemeinden der Bürgermeisterei Niederkirchen im Ostertal (damals 3.200 Einwohner) gerieten aus verschiedenen Gründen in die Mühlen des Sterilisationsverfahrens. Nachzuweisen sind 16 durchgeführte Sterilisationen, zwei weitere sind wahrscheinlich, in einigen Fällen ist der Ausgang des Verfahrens unklar. Die Entscheidung über die Sterilisation traf, nach Vorschlag des Amtsarztes, ein so genanntes „Erbgesundheitsgericht“. In der Pfalz gab es davon zwei: eins in Frankenthal und eins in Zweibrücken. Letzteres war auch für den Kreis Kusel zuständig. Gegen die Entscheidung des Gerichts gab es eine Beschwerdemöglichkeit, und in einigen Fällen lehnte das „Erbgesundheitsobergericht“, das dem OLG Zweibrücken angegliedert war, die Sterilisation auch ab. Trotz dieser rechtsstaatlich anmutenden Verfahrensweise, so Kirsch, habe das Unrecht darin gelegen, dass es ein Gesetz gegeben habe, nach dem Menschen einfach gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht werden durften.

Neben den Zwangssterilisationen hat Hans Kirsch für die Ostertalgemeinden auch vier Fälle von „Euthanasie“ recherchiert. Zwei Männer, die unter dem Einfluss psychiatrischer Beeinträchtigungen Straftaten begangen hatten, wurden von der „Heil- und Pflegeanstalt“ Klingenmünster aus in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein in Sachsen verlegt und dort vergast. Ein weiterer Kranker kam von Klingenmünster aus zunächst ins KZ Dachau und von dort aus nach Auschwitz, wo er ermordet wurde. Das vierte „Euthanasie“-Opfer aus dem Ostertal lag jahrelang in der Anstalt Klingenmünster und starb dort 1944 auf der „Hungerstation“. Alle Fälle, so der Referent, könnten in der „Chronik des mittleren Ostertals“, Band 4, nachgelesen werden. Am Schluss der Veranstaltung bedankten sich die Veranstalter beim Bezirkstag der Pfalz, beim Pfalzklinikum Klingenmünster, bei der Familie Raddatz, in 2 deren Räumen die Veranstaltungen stattfanden, und bei der Lokalen Partnerschaft „Demokratie Leben im Landkreis Kusel“, die die Veranstaltungsreihe finanziell gefördert habe.

Hans Kirsch